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In einem Beitrag für den ifo-Schnelldienst des ifo-Institut für Wirtschaftsforschung erläutert der renommierte USA-Experte Dr. Josef Braml, warum der neue Amtsinhaber im Weißen Haus trotz Mehrheiten der Demokraten in beiden Kammern des Kongresses bei innenpolitischen Fragen nicht „durchregieren“ kann, er hingegen in der Außenpolitik gegenüber rivalisierenden Staaten mehr Handlungsspielraum hat.
Der promovierte Politikwissenschaftler und gelernte Bankkaufmann schreibt preisgekrönte Bücher und verfasst Artikel in führenden deutschen Zeitungen sowie in internationalen Fachzeitschriften.
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Der ifo-Beitrag
Nach seinem hart umkämpften Wahlsieg bei den US-Präsidentschaftswahlen wird der Demokrat Joe Biden Jr. am 20. Januar 2021 als 46. Präsident der Vereinigten Staaten die Amtsgeschäfte im Weißen Haus übernehmen. Zuvor konnten die Demokraten neben der Mehrheit im Abgeordnetenhaus durch die beiden Siege in den Stichwahlen am 5. Januar 2021 im Bundesstaat Georgia schließlich auch noch die Kontrolle über den Senat erlangen. Damit haben die Demokraten zwar noch die Kontrolle in dieser zweiten Kammer des Kongresses gewonnen, aber die qualifizierte Mehrheit (von 60 Stimmen) verfehlt, die nötig ist, um Blockademanöver im normalen Gesetzgebungsverfahren abzuwenden.
Die Republikaner werden künftig in der Lage sein, die ehrgeizige legislative Agenda der Biden-Administration mit derselben Obstruktionsstrategie zu blockieren, mit der sie bereits die meisten Initiativen Barack Obamas verhinderten. Während viele sozial- und wirtschaftspolitische Prioritäten des neuen Präsidenten Biden – etwa zur Verbesserung des Gesundheitswesens, der „Green Deal“ und Steuererhöhungen – von den Republikanern im Kongress vereitelt werden können, besteht in den Vereinigten Staaten jedoch ein parteiübergreifender Konsens in der Außenpolitik gegenüber rivalisierenden Staaten. Die USA werden weiterhin wirtschaftliche Mittel für geostrategische Ziele nutzen – um insbesondere China und Russland einzudämmen. Amerikas Geo-Ökonomie wird auch seine Alliierten in Europa und Asien vor die Wahl stellen und zum geostrategischen Denken nötigen.
Weiterhin mögliche Politikblockade
Der Demokrat Joe Biden wurde von fast 80 Millionen US-Wählerinnen und Wählern zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt – mit weit mehr Stimmen als jeder andere Kandidat vor ihm erhalten hatte. Trotz der von seinem Vorgänger Donald Trump geschürten Befürchtungen vor einer umstrittenen Wahl wurde Biden letztendlich am 14. Dezember 2020 mit einer deutlichen Mehrheit von 306 der insgesamt 538 Wahlleute des Electoral College zum Präsidenten gekürt sowie am 20. Januar vereidigt und inauguriert. Mit dem neuen Amtsinhaber im Weißen Haus verbinden viele politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger in Europa ihre Hoffnungen auf eine berechenbarere und für sie vorteilhaftere Innen- und Außenpolitik der Weltmacht. Doch auch nach den Präsidentschafts- und Kongresswahlen wird die politische Lage in den Vereinigten Staaten schwierig und volatil bleiben.
System der „Checks and Balances”
Legislative und Exekutive sind im politischen System der USA nicht nur durch verschiedene Wahlakte stärker voneinander „getrennt“. Das System der „checks and balances“ ist darüber hinaus dadurch gekennzeichnet, dass die politischen Gewalten miteinander konkurrieren und sich gegenseitig kontrollieren. Der US-amerikanische Kongress übernimmt somit nicht automatisch die politische Agenda der Exekutive/des Präsidenten, selbst wenn im Fall des „unified government“ das Weiße Haus (Sitz des Präsidenten) und Capitol Hill (Sitz des Kongresses) von der gleichen Partei „regiert“ werden.
Die Demokraten haben zwar die Kontrolle über die erste Kongresskammer, das Repräsentantenhaus, beibehalten, aber unerwartet viele Sitze verloren und werden damit künftig über eine kleinere Mehrheit verfügen. Da der künftige Präsident Biden auch noch drei demokratische Abgeordnete für Regierungsposten – namentlich Cedric Richmond als Direktor des Verbindungsbüros für Öffentliche Angelegenheiten und Berater des Präsidenten, Marcia Fudge als Ministerin für Wohnungsbau und Stadtentwicklung sowie Deb Haaland als Innenministerin – nominiert hat, dürfte bis zu den Sonderwahlen im Frühjahr 2021 für die Neubesetzung der Sitze dieser drei in die Exekutive Berufenen und des gegen Jahresende an Corona verstorbenen Republikaners Luke Letlow die demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus hauchdünn sein. Die Demokraten werden bis dahin nur noch über ein bis zwei Stimmen über der nötigen Mehrheit von 218 Stimmen verfügen – je nachdem, wie schnell die von Biden Nominierten vom Senat jeweils für ihre Kabinettsposten bestätigt werden und damit ihre Abgeordnetenmandate niederlegen müssen.
Mangels einer „blauen Welle“ konnten die Demokraten auch nicht die zweite Kongresskammer, den Senat, deutlich für sich entscheiden. Sie verloren ausschlagbebende Rennen in Maine, Iowa und anderen Bundesstaaten. Doch in den Stichwahlen im Südstaat Georgia gelang es den Demokraten immerhin noch, beide Sitze zu gewinnen. Damit konnten sie die Kontrolle im Senat sichern. Denn bei dem nun gegebenen 50-50-Patt kann bei Abstimmungen, wenn nötig, jeweils die Vize-Präsidentin Kamala Harris mit ihrer „tie-beaking vote“ die ausschlaggebende Stimme abgeben.
Damit wird es für den ranghöchsten Demokraten im Senat, Charles Schumer, umso schwieriger, den Senat zu führen. In dieser Kammer kann ein einziger Senator mit Dauerreden, einem sogenannten „filibuster“, den Geschäftsbetrieb aufhalten – solange ihm nicht eine qualifizierte Dreifünftelmehrheit von 60 Senatoren den Mund verbietet. „To invoke cloture“ lautet das Manöver, um ein „filibuster“ abzuwenden.
Seitdem die Demokraten bereits im November 2013 mit ihrer einfachen Mehrheit kurzerhand die Geschäftsordnung des Senats veränderten – sich für die von den Republikanern so genannte „nukleare Option“ entschieden –, können Blockademanöver bei Personalbenennungen nunmehr mit einer einfachen Mehrheit aufgehoben werden.
Ausgenommen bleibt jedoch das normale Gesetzgebungsverfahren. Hier sind weiterhin 60 Stimmen nötig, um eine Blockade aufzuheben. Deshalb gilt es im Senat, Anreize zu geben, um möglichst alle 100 Senatorinnen und Senatoren zufriedenzustellen. Mit Druck würde man hingegen wenig bewirken. Nach der „Macht“ des Mehrheitsführers im Senat gefragt, erwiderte der ehemalige Demokratische Senator und „majority leader“ George J. Mitchell: „Man hat die Macht, 99 Hintern zu küssen.“
Mehr Machtbefugnisse hat „Madam Speaker of the U.S. House of Representatives“. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosy hat mehr Mittel zur Verfügung, um die gleichwohl geschrumpfte Mehrheit ihrer Parteifreunde auf Linie zu halten: Sie kann die für Interessengruppen und deren Zuwendungen besonders attraktiven Vorsitzenden von Ausschüssen und Unterausschüssen bestimmen, über einen Verfahrensausschuss, das „rules committee“, regeln, ob und in welchen Ausschüssen bzw. Unterausschüssen ein Gesetz behandelt wird, und festlegen, inwieweit Änderungsanträge zulässig sind und welche Prozeduren zu erfolgen haben. Die Geschäftsordnung gibt der Sprecherin also wirksame Machtinstrumente an die Hand. Gleichwohl verfügt die Sprecherin des Repräsentantenhauses wegen der fehlenden Partei- und Fraktionsdisziplin im politischen System der „checks and balances“ nicht über die enormen Sanktionsmittel, die ein Fraktionschef in einem parlamentarischen Regierungssystem wie in Deutschland hat.
Spannungen in der demokratischen Partei
Mangels Parteidisziplin ist auch der Präsident häufig angehalten, mit entsprechenden Hilfen für die Wahlkreise oder Einzelstaaten der umworbenen Abgeordneten und Senatoren sogar Kongressmitglieder der eigenen Partei zu „kaufen“. Für Biden wird es als Präsident künftig schwieriger werden, die Geschlossenheit seiner demokratischen Partei aufrechtzuerhalten. Nach Trumps Abwahl aus dem Weißen Haus fehlt nun der externe „Feind“, der noch im Wahlkampf half, die eigenen Reihen zu schließen. Es gibt bereits Spannungen zwischen Progressiven und Gemäßigten darüber, wer für die Verluste bei den Kongresswahlen verantwortlich ist – und dementsprechend auch Richtungsstreit über den künftigen Regierungskurs der Demokraten.
Es war daher wenig überraschend, dass Biden ein Kabinett zusammenstellte, das die verschiedenen Fraktionen seiner Koalition umfasst, einschließlich progressiver und gemäßigter Köpfe. Dank der Kontrolle der Demokraten im Senat können die Personalentscheidungen des Präsidenten ohne Blockademöglichkeiten der Republikaner abgesegnet und damit auch die innerparteiliche Machtarithmetik der Demokraten aufrechterhalten werden.
Mangels einer demokratischen Supermehrheit im Senat (60 von 100 Stimmen) und der damit möglichen Kontroll- und Obstruktionsmöglichkeit der Republikaner im normalen Gesetzgebungsverfahren sind die vor allem von progressiven Demokraten geforderten umfassenden Gesetze in den Bereichen Gesundheitswesen, Steuerreform, Finanzmarktregulierung sowie Klima- und Energiepolitik nicht zu erwarten.
Zwar verfügt Biden über 36 Jahre Erfahrung sowie persönliche Arbeitsbeziehungen im Senat und ist für seine Fähigkeit zu parteiübergreifender Zusammenarbeit bekannt. Aber seine legislativen Kooperationserfolge sind lange her – sie waren in einer Zeit, in der Konsensfindung noch möglich war und von den Wählern und Interessengruppen honoriert wurde. Eine von Partikularinteressen forcierte republikanische Blockade seiner Gesetzgebungsagenda könnte Präsident Biden zwingen, mittels exekutiver Anordnungen, also ohne die längerfristige Verbindlichkeit der Gesetzgebung, zu regieren – wie es bereits seine beiden Vorgänger Trump und Obama taten.
Auswirkungen der Politikblockade
Dass der künftige Präsident nicht „durchregieren“ können würde, wurde von der Finanzwelt erleichtert aufgenommen. Mit Kursanstiegen reagierten die Aktienmärkte darauf, dass es keine von den Demokraten kontrollierte Einheitsregierung geben wird, die Unternehmen regulieren und Steuern erhöhen könnte. Eine in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkte Regierung gibt aber auch Grund zur Sorge, wenn man die gravierenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme des Landes bedenkt. Zunächst wären legislative Maßnahmen dringend erforderlich, um die COVID-19-Pandemie und deren wirtschaftlichen Auswirkungen zu bewältigen.
Zwar besteht Grund zur Hoffnung auf eine Verbesserung der Lage, seitdem im November 2020 zwei Unternehmen, namentlich Moderna und Pfizer, Coronavirus-Impfstoffe ankündigten, die in klinischen Studien mehr als 90 Prozent Wirksamkeit versprechen. Es wird jedoch noch viele Monate dauern, bis der Impfstoff auch an Menschen verteilt wird, die aufgrund ihrer Arbeit, ihres Alters und ihrer gesundheitlichen Bedingungen nicht als „hochgefährdet“ eingestuft werden.
Die menschlichen und wirtschaftlichen Verluste der COVID-19-Pandemie sind in den Vereinigten Staaten besonders schwerwiegend. Zu Jahresbeginn 2021 gab es bereits über 350.000 durch COVID-19 verursachte Todesfälle zu betrauern. Wegen der zunehmenden Zahl bestätigter Fälle haben die Centers for Disease Control and Prevention weitere Einschränkungen des persönlichen und wirtschaftlichen Lebens empfohlen. Die vielerorts verschärften Corona-Regeln, insbesondere Reisebeschränkungen und Schließung von Geschäften, werden die US-Wirtschaft weiterhin belasten. Bereits das bisherige Ausmaß der Krise ist beispiellos: Die Pandemie hat gleichzeitig einen Nachfrage-, Angebots- und Finanzschock verursacht.
Angesichts der dramatischen sozio-ökonomischen Lage in den Vereinigten Staaten wurde noch in der ablaufenden Legislaturperiode parteiübergreifend ein COVID-19-Hilfsgesetz für Privathaushalte und Unternehmen vom Kongress verabschiedet und vom scheidenden Präsidenten Trump unterzeichnet. Die Forderungen von Wirtschaftslobbys nach staatlicher Unterstützung konnten die vorherige Blockade der Republikaner im Senat aufweichen und Trumps Veto-Drohung abwenden. Mit Blick auf die nächsten, bereits in zwei Jahren stattfindenden Zwischenwahlen haben die Demokraten ebenso starke Anreize, bessere Bedingungen für eine wirtschaftliche Erholung zu schaffen, vor allem jetzt, mit einem Demokraten im Weißen Haus. In dieser Lage konnte ein Kompromiss erzielt werden, bei dem fiskalkonservative Republikaner einem Paket von 900 Milliarden Dollar zustimmten und die Demokraten ihrerseits zuvor abgelehnte Bedingungen akzeptierten, etwa Arbeitgeber von der Haftung für COVID-19 zu befreien.
Infrastruktur- und Steuerreformpläne
Die nötige Reaktion auf die ökonomischen Folgen des Coronavirus könnte künftig auch politische Rückendeckung zur Verabschiedung eines Infrastrukturpakets geben. Es herrscht mittlerweile eine parteiübergreifende Einsicht, dass viele Bereiche des US-Infrastruktursystems renoviert und erneuert werden müssen. Neben Investitionen in Straßen und Brücken bezieht sich Bidens Infrastrukturplan auf Wasserinfrastruktur und Breitbandzugang.
Infrastrukturprogramme zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Folgen könnten der Biden-Administration auch als legislatives Vehikel dienen, um zumindest einen Teil seiner Klima- und alternativen Energie-Agenda zu erreichen. Allen voran werden die progressiven Demokraten versuchen, mehr Mittel für die Reform des Energiesektors, Elektrofahrzeugsysteme, den öffentlichen Nahverkehr und die Wärmedämmung von Gebäuden bereitzustellen.
Allerdings haben bereits in den zurückliegenden Trump-Jahren heftig umstrittene Finanzierungsdebatten im Kongress eine parteiübergreifende Einigung über Infrastrukturausgaben verhindert. Indem sein Nachfolger Joe Biden seinen Infrastrukturplan im Gesamtumfang von über 2 Billionen Dollar auch noch mit einer Steuerreform verknüpfte, ist diese gewaltige Aufgabe politisch noch schwieriger geworden. Während seines Präsidentschaftswahlkampfes versprach Biden, die inländischen Ausgabenprogramme durch Steuererhöhungen zu finanzieren, indem er verschiedene Komponenten des Steuersenkungs- und Beschäftigungsgesetzes von 2017 (Tax Cuts and Jobs Act, TCJA) aufheben will. Gleichwohl beabsichtigt Biden, die Einkommensteuern für Personen mit weniger als 400.000 Dollar Jahreseinkommen nicht zu erhöhen, aber den Körperschaftsteuersatz von 21 auf 28 Prozent anzuheben.
Die Biden-Regierung könnte auch versuchen, steuerliche Anreize zu geben, um Unternehmen davon abzuhalten, ihre Geschäftstätigkeit ins Ausland zu verlagern, indem sie eine Mindestkörperschaftsteuer von 15 Prozent auf verbuchte Gewinne erhebt. Sie könnte auch anstreben, diejenigen mit einem Einkommen von einer Million Dollar oder mehr zu verpflichten, den gleichen Satz auf Kapitalerträge zu zahlen wie auf das Gehalt.
Konjunkturprogramm
Während sich die Republikaner im Kongress sicherlich zusammenschließen würden, um die von Biden geführten Demokraten daran zu hindern, die Steuern merklich zu erhöhen, würde es der republikanische Minderheitsführer im Senat Mitch McConnell deutlich schwerer haben, die Einstimmigkeit gegen ein Biden-Konjunkturprogramm aufrechtzuerhalten, wenn die Konjunkturimpulse hauptsächlich durch Steuersenkungen für die Mittelschicht erreicht würden. Die Blockade der Republikaner gegen öffentliche Ausgaben könnte auch aufgeweicht werden, wenn die Biden-Administration mit „Pork-barrel“-Anreizen handelt, indem sie staatliche Investitionen in Projekte von Einzelstaaten umworbener Senatoren lenkt, um deren Zustimmung zu erwirken.
Biden hat auch protektionistische Signale gesendet und die Rolle der amerikanischen Industrie bei der wirtschaftlichen Erholung hervorgehoben. Mit einem vierjährigen, 400 Mrd. Dollar schweren „Buy-American“-Plan sollen mehr Arbeitsplätze in der verarbeitenden Industrie geschaffen, Bundesmittel auf amerikanische Unternehmen konzentriert und Offshoring verhindert werden.
Globale geo-ökonomische Rivalitäten
Unter dem neuen Präsidenten und Kongress werden nicht nur die „Buy-American“-Bestimmungen fortgeführt. Die Vereinigten Staaten werden auch weiterhin (Sekundär-) Sanktionen anwenden, um ihre Verbündeten etwa zum Kauf von „Freiheitsgas“ zu nötigen. Bereits im Dezember 2019 verabschiedete der US-Kongress mit parteiübergreifender Unterstützung das sogenannte Gesetz zum Schutz der europäischen Energiesicherheit. Das Protecting Europe’s Energy Security Act (PEESA) stoppte zunächst den Bau der von der deutschen Bundesregierung forcierten Nord Stream 2 Pipeline, weil die Sanktionen auf die Betreiber der Spezialschiffe abzielten, die die Rohre für die Pipeline verlegten. Mit der Haushaltsautorisierung für das Verteidigungsministerium, dem National Defense Authorization Act (NDAA), hat der US-Kongress noch vor Jahresende 2020 dem künftigen US-Präsidenten ermöglicht, weitere Sanktionen gegen aktive Unterstützer des Projekts zu verhängen. Der Beschluss sieht Strafmaßnahmen sowohl gegen Versicherer von Unternehmen und Schiffen vor, die am weiteren Bau von Nord Stream 2 beteiligt sind, als auch gegen technische Zertifizierungsgesellschaften.
Die Vereinigten Staaten werden weiterhin aus geopolitischer Sicht argumentieren, dass diese Pipeline US-Verbündete wie Deutschland von Russland abhängig machen würde. Daher brauchen deutsche Politiker und Entscheidungsträger strategische Geduld und den längeren Atem besserer wirtschaftlicher und geostrategischer Argumente: Amerikas kurzsichtiges geo-ökonomisches Vorgehen gegen die Hauptkonkurrenten auf den internationalen Öl- und Gasmärkten – sei es Saudi-Arabien, Russland oder Iran – geht nicht nur zu Lasten der wirtschaftlichen Interessen der verbündeten Länder wie Deutschland. Sie schadet den Vereinigten Staaten selbst auf lange Sicht und hilft ihrem globalen Rivalen China.
Die geo-ökonomische Rivalität zwischen den Vereinigten Staaten und China wird durch die Biden-Administration verstärkt. Die künftige US-Regierung wird weiterhin Daten-, Handels-, Energie- und Finanzströme managen oder manipulieren – insbesondere durch (Sekundär-) Sanktionen. Das Spiel der Kräfte in „freien“ Märkten wird von den USA weiterhin (macht-) politisch ausgehebelt und nur akzeptiert werden, solange es dem politischen Ziel geostrategischer Dominanz dient.
Der Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und China wird vor allem im Technologiesektor ausgetragen. Beim Konfliktthema 5G/Huawei werden die USA gegenüber ihren Verbündeten unnachgiebig bleiben. Im Kampf um technopolitische Einflusssphären, in denen die künftige wirtschaftliche und militärische Vorherrschaft auf dem Spiel steht, wird Washington den Druck auf Drittländer wie Deutschland und deren Unternehmen erhöhen und sie vor die Wahl stellen, entweder Geschäfte mit China oder den USA preiszugeben.
Hinwendung nach Asien
Amerikas „Hinwendung nach Asien“, der bereits unter der Obama/Biden-Regierung eingeschlagene „Pivot-to-Asia“-Kurs wird fortgeführt – weiterhin auf Kosten der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP). Schon für Präsident Obama und den damaligen Vizepräsidenten Biden war – zum Entsetzen der Europäer – die Transpazifische Partnerschaftsinitiative (TPP) wichtiger, mit der sie beabsichtigten, China in der Handelspolitik einzudämmen und von ihren Verbündeten wirtschaftlichen Tribut zu fordern.
Die Biden-Administration wird versuchen, diese innenpolitisch seinerzeit schon schwierige, aber geo-ökonomisch umso dringlicher gewordene Initiative neu zu beleben. Im härter werdenden Wettbewerb in der Region Asien-Pazifik geht es zuvorderst darum, Trumps strategischen Fehler zu korrigieren, der darin bestand, in einer seiner ersten Amtshandlungen im Jahr 2017 die TPP-Beteiligung und -Führung der USA aufzugeben.
Während die Vereinigten Staaten in Trumps Regierungszeit damit beschäftigt waren, sich ökonomisch in das nationalistische Schneckenhaus zurückzuziehen, schreckte Chinas umfassende „Seidenstraßeninitiative“ („One Belt, One Road“) nicht vor diplomatischen Initiativen und wirtschaftlichen Investitionen zurück, um den Welthandel zu seinen Bedingungen neu zu ordnen. Mittlerweile ist es China sogar gelungen, seine Initiative zur Regionalen Umfassenden Wirtschaftspartnerschaft (Regional Comprehensive Economic Partnership, RCEP) abzuschließen. Die RCEP wurde am 15. November 2020 auf einem virtuellen ASEAN-Gipfel unterzeichnet. Chinas Initiative der RCEP umfasst die zehn ASEAN-Länder sowie Australien, Japan, Südkorea und Neuseeland, aber nicht die Vereinigten Staaten.
Das RCEP-Abkommen verdeutlicht, dass selbst Amerikas asiatisch-pazifische Verbündete skeptisch gegenüber Washingtons Forderungen sind, sich technologisch und wirtschaftlich von China zu „entkoppeln“. Mit dem von China forcierten RCEP, dass 2,2 Milliarden Menschen und etwa ein Drittel der weltweiten Wirtschaftsleistung umfasst, werden in der Region Zölle gesenkt, Handelsregeln festgelegt und nicht zuletzt auch der Trend zu regionalen Wertschöpfungsketten verstärkt.
Um sich gegen eine von Washington betriebene wirtschaftliche Entkoppelung zu wappnen, hat China schließlich auch bei den sich über sieben Jahre hinziehenden Verhandlungen mit Europa eingelenkt und zum Jahresende 2020 einer Investitionspartnerschaft zugestimmt. Künftig sollen hüben wie drüben die Investitionsbedingungen verbessert, weil fairer gestaltet werden – sobald Europas Entscheidungsträger diesem in seinen Details auch noch nicht ausgehandelten Deal zugestimmt haben werden.
Die geo-ökonomischen Bemühungen der USA und Chinas sollten auch den Europäern (geostrategisch) zu denken geben. Um ihre Handlungsfähigkeit zu verbessern und „weltpolitikfähig“ zu werden, sollte die EU in der Außen- und Sicherheitspolitik von der Illusion der Einstimmigkeit hin zu einer realistischeren Konsensfindung in Form einer qualifizierten Mehrheitsentscheidung finden. Nur ein entscheidungsfähiger europäischer Verbund gewährleistet Marktmacht und Handlungsoptionen, damit Europas Länder weiterhin selbstbestimmt wirtschaften und leben können.